Ein französischer Republikaner und ein deutscher Soldat: Kapitualation von Paris im Deutsch-Französischen Krieg (28. Januar 1871)
Montag, den 28. Januar 2008Rede eines radikalen Republikaners in Paris:
„Frieden, endlich Frieden“ Ich höre es durch die Straßen hallen. Einen Waffenstillstand hat man geschlossen, wie man hört. Der Kaiser schon lange gefangen, unsere Macht zerschlagen, vom Feind besiegt, wie es keiner erwartet hat. Mir ist das alles zu schnell. Zu schnell ging die Glorie unserer Nation verloren. Besiegt von den Preußen, von den Bayern, von den Deutschen. Nein, so kann und darf es nicht enden. Die Monarchie haben sie hinweggefegt mit ihren Kanonen. Sicher, das war zu unserem Vorteil. Obwohl sie das sicher nicht wollten. Aber wir haben unsere Stärke gezeigt. Die Stärke der Republik, die wir ausgerufen haben. Mit Hunger und Kanonen versuchten sie uns zu zermürben. Die Stadt hat kapituliert. Doch unser Wille ist ungebrochen! Doch was wird jetzt aus unserer jungen Republik? Ich sage, lasst uns weiter kämpfen! Noch ist nicht alles verloren. Noch haben wir unseren Willen zur Freiheit. Den können uns die Deutschen nicht rauben, auch wenn sie uns die Freiheit nehmen sollten. Wie werden ihre Bedingungen sein? Wollen sie uns noch weiter demütigen? Haben Sie uns nicht schon genug verhöhnt? Mit der Krönung ihres Kaisers im größten Schloss unserer Nation. Ein Angriff auf unsere Identität, mehr noch als auf unser Leben. Ich sage, hier muss ein Ende sein. Lasst uns für die neue Republik kämpfen. Lasst uns die Waffen erheben, alle wie ein Mann, wie eine Nation. Für Frankreich. Für die Republik!
Brief eines deutschen Artilleristen der 3. Armee unter Kronprinz Friedrich Wilhelm:
Mein Liebchen,
eben kam die Nachricht zur Truppe. Paris hat kapituliert! Endlich ist es soweit.
Was ist das für eine glückliche Zeit. Das Reich geschaffen. Den Feind besiegt und jetzt bald Frieden. Sei unbesorgt. Ich habe alles gut überstanden. Es war gar nicht so übel hier. Wir lagern rund um das Schloss Versailles. Vor wenigen Tagen konnte ich sogar einen Blick auf Bismarck erhaschen. Er war hier, weil sie den neuen deutschen Kaiser gekrönt haben. Direkt hier im Schloss von Versailles. Stell Dir das vor, meine Liebe. Was war das für ein ganz und gar prächtiges Gefühl und ich war ganz nah dran. Direkt dabei in dieser historischen Stunde. Das hat dem Franzosen den Todesstoss versetzt. Ein deutscher Kaiser - gekrönt im Schloss ihrer König und Kaiser. Welch’ eine Freude war das und welch’ eine Genugtuung. Auch ich habe mein Scherflein zu diesem Sieg beigetragen. Ich, meine Einheit und unsere Krupps. Erst mussten wir fast tatenlos abwarten. Aber vor 3 Tagen kam endlich der Befehl. Unsere schweren Geschütze nahmen Paris unter Feuer. Und unseren Krupps hatte der Franzose nichts entgegen zu setzen. Wir haben die viele Beleidigungen dieses Volkes gerächt. Wenn es jetzt Frieden gibt, hoffe ich nur, man macht es dem Franzosen nicht zu billig. Sollen ihn ruhig bluten lassen. Aber ich habe da Vertrauen in Bismarck. Hat er uns nicht auch das Reich und den Kaiser geschenkt? Ach meine Liebe, wie ich Dich vermisse in dieser großen Stunde. Aber bald bin ich bei Dir. Wer weiß, wenn Gott will, nehme ich Dich vielleicht schon bald einmal mit, hier her nach Versailles. Ich zeige Dir das Schloss und die Gärten. Zeige Dir, wo ich untergebracht war und wo meine Krupp stand. Vielleicht schon bald. Wenn das doch jetzt bald alles deutsch wird. Bete für mich und den Kaiser. Bete für unser neues großes Reich!
Bis wir uns wiedersehen bleibe ich Dein Dir in inniger Liebe verbundener Franz.
Am 28. Januar 1871 kapitulierte Paris im Deutsch-Französischen Krieg unter der Belagerung der deutschen Truppen. Drei Tage zuvor, am 25. Januar war der Befehl zum Dauerbeschuss der französischen Hauptstadt mit schweren Artilleriegeschützen erteilt worden. Wegen der großen Risiken für die Zivilbevölkerung hatte man diese Maßnahme lange zu vermeiden versucht. Zwar waren die französischen Truppen in den meisten Schlachten von den preußischen und verbündeten Armeen besiegt worden, aber der Sieg in diesem Krieg, der seinen Auslöser in der Emser Depesche gefunden hatte, war noch nicht sicher. Einerseits befürchtete der deutschen Generalstab, dass es den Franzosen auf Dauer gelingen könnte, doch noch genug Truppen auszuheben, um den Belagerungsring um Paris zu sprengen, andererseits sah man die Möglichkeit, dass eine weiter andauernde Belagerung der Stadt mit einer unter Hunger und Krankheiten leidenden Zivilbevölkerung den Franzosen dazu verhelfen könnte, andere Mächte, wie England, die in diesem Krieg bisher neutral geblieben waren, auf ihre Seite zu ziehen.
In Frankreich, das den Krieg als ein Kaiserreich begonnen hatte, war nach der Gefangennahme Napoleons III. in Folge der Schlacht von Sedan die Dritte Republik ausgerufen worden, die bis 1940 existieren sollte. Die Pariser Bevölkerung, die zuvor nicht gerade begeistert davon gewesen war, einen Krieg für einen Monarchen zu führen, sah diese junge Errungenschaft nun durch den deutschen Sieg gefährdet und es gab nicht Wenige, vor allem radikale Republikaner, die sich nun für eine Fortsetzung des Krieges aussprachen, trotz aller Entbehrungen, die sie in der seit Monaten belagerten Stadt erleiden mussten. Dazu kam, dass viele Franzosen sich sehr in ihrer Ehre gedemütigt sahen, nachdem ausgerechnet im Spiegelsaal von Versailles am 18. Januar das neue Deutsche Reich gegründet und der neue Deutsche Kaiser Wilhelm I. proklamiert worden war.
Der wirkliche Friedenschluss ließ aber noch einige Zeit auf sich warten, und wurde erst am 10. Mai 1871 in Frankfurt unterzeichnet. Am Ende wurden die schlimmsten Befürchtungen der in der Mehrheit republikanisch geprägten Bevölkerung von Paris allerdings nicht wahr. Die Republik blieb bestehen und die Gebietsabtretungen waren moderat und beschränkten sich auf die 190 Jahre zuvor von Frankreich eroberten Gebiete Elsass und Lothringen. Dennoch sollten gerade diese Eroberungen und der französische Revanche-Wunsch zum maßgeblichen Leitmotiv der französischen Politik im Ersten Weltkrieg und im Vertrag von Versailles werden, den die deutschen Vertreter am 28. Januar 1919, auf den Tag genau 48 Jahre nach der Kapitulation von Paris, unterzeichnen mussten.