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Clayton Hughes, Fabrikbesitzer in Massachusetts: Hinrichtung Saccos und Vanzettis (23. August 1927)

Sonntag, den 23. August 2009

Endlich ist es soweit, diesen beiden Halunken wird das Leben genommen! Sie haben es nicht besser verdient. Sie wollten unser ganzes Land in den Abgrund reißen, diese Italiener. Kommen hierher und denken sie sein wer. Hah, dass ich nicht lache! Was haben die denn schon geleistet, stehen hier am Fließband oder verrichten Botengänge und denken, dass macht sie zu besseren Menschen. Fordern dann auch noch bessere Arbeitsbedingungen, mehr Lohn und was weiß ich noch was. Dass ich nicht lache! Sollen die doch erstmal was leisten, ehe sie was fordern!
Wenn die mit ihren lächerlichen Forderungen jemals durchgekommen wären, dann lägen wir jetzt ganz am Boden, die USA gäbe es nicht mehr, oder zumindest wäre sie zu einem Land ohne Einfluss und Macht in der Welt verkommen. Arbeiterpack!
Die haben ja keine Vorstellung von der wahren Politik! Abschaum! Kommen aus Europa daher und wollen hier die Welt revolutionieren. So was unerhörtes kann sich auch nur in diesen dummen, ungebildeten Kommunistenköpfen ausbreiten. Wie die nur auf solche Ideen kommen?! Aber egal, heute wird ihnen der Prozess gemacht, diesen brutalen Mördern! Stecken doch alle unter einer Decke. Erst haben sie vollkommen verrückte politische Ideen, dann werden sie zu Mördern, war ja klar!
Da muss der Strick her oder der Elektrische Stuhl, ganz egal, Hauptsache weg mit dem Pack!
Anwälte oder solche, die sich dafür halten, haben sich auch noch für diese beiden Italiener eingesetzt. Unverschämtheit. Die Fakten lagen doch auf der Hand. Da gibt und gab es nichts dran zu rütteln. Wenn ich mir schon diese schmierigen Gesichter anschaue, da sieht man doch gleich, dass das Anarchisten und Mörder sind!
Lang genug wurde mit der Vollstreckung gewartet, kürzlich wurde sie noch in letzter Minute abgesagt. Doch heute wird der Gerechtigkeit hoffentlich endlich genüge getan und die Welt wird von diesen Verbrechern befreit.

   
(Beide Videos sind über YouTube eingebunden. Das linke Video zeigt das Stück “Ballad of Sacco & Vanzetti”, geschrieben von Woody Guthrie, das rechte Video “Here’s to you”, geschrieben von Ennio Morricone. Beide Lieder werden gesungen von Joan Baez)

Am 23. August 1927 wurden über Ferdinando „Nicola“ Sacco und Bartolomeo Vanzetti in den USA hingerichtet.
Es handelt sich um die Hinrichtung von zwei aus Italien nach Amerika eingewanderten Arbeiter, die sich in den USA der anarchistischen Arbeiterbewegung angeschlossen hatten und des Raubmordes für schuldig befunden wurden. Die Frage der Schuld bzw. Unschuld der beiden ist bis heute umstritten und sorgt immer wieder für Diskussionen und Spekulationen. Sacco und Vanzetti wanderten im Jahr 1908 unabhängig voneinander in die USA ein. Der aus Torremaggio stammende Sacco schlug sich in Massachusetts als Hilfsarbeiter durch, während Vanzetti sich nach anfänglichen Aushilfstätigkeiten, ebenfalls in Massachusetts, als Fischverkäufer selbständig machte.
1917 trafen die beiden Auswanderer erstmals aufeinander und zwar anlässlich der Flucht nach Mexiko, die sie vornahmen um der Einberufung zur Armee zu entgehen. Wenige Monate nach ihrem Aufenthalt in Mexiko kehrten die Beiden in die USA zurück.
Am Heiligabend des Jahres 1919 wurde in Bridgewater ein Überfall auf einen Geldtransporter verübt, bei dem die Täter jedoch wenig Erfolg hatten und ohne Beute flüchten mussten.
Wenig später, am 15. April 1920 wurden in South Braintree zwei Angestellte der Slater & Morill Shoe Company erschossen und um eine Summe in Höhe von 15 776,51$ erleichtert – das Lohngeld für die Angestellten der Firma. Die Täter flüchteten mit ihrer Beute in einem blauen Buick, in dem sich außer ihnen zwei oder drei weitere Personen befunden haben sollen.

Was haben diese Vorfälle nun mit Sacco und Vanzetti zu tun?
Bei den Ermittlungen legte sich der Michael Stewart, der Polizeileiter von Bridgewater, schnell darauf fest, dass die Täter aus dem Kreis der Anarchisten stammen müssten, eine zur damaligen Zeit beliebte Annahme, befanden sich die USA doch in einer Wirtschaftskrise für die die politische Linke verantwortlich gemacht wurde. Die Propaganda der Regierung schürte gezielt die Angst vor der so genannten Roten Gefahr. Anarchisten, Bolschewisten, Kommunisten, Arbeiter und Einwanderer stellten nach konservativer Meinung eine erhöhte Gefahr dar.
Grund für die Annahme des Polizeileiters von Bridgewater, die Tat ginge auf das Konto von Anarchisten, war folgender: Ferruccio Coacci sollte wegen Verteilung anarchistischer Schriften deportiert werden und hatte sich nicht, wie vorgesehen, am 15. April bei den Behörden gemeldet. Daraus wurde nun der Schluss gezogen, Coacci müsse einer der Täter sein.
Stewart ließ Coaccis Haus und Grundstück durchsuchen und glaubte, im Schuppen Reifenspuren eines Buicks entdeckt zu haben. Damit war für ihn die Verbindung zum versuchten Raubüberfall klar, auch wenn Mike Boda, ein Mitbewohner Coaccis beteuerte, in dem Schuppen sei ein Wagen einer anderen Marke untergebracht, der sich zur Zeit in Reparatur befinde.
Da Boda nach der Hausdurchsuchung untertauchte, nahm Stewart Kontakt zur Werkstatt auf. Sobald Boda sein Auto abholen wollte, sollte die Polizei informiert werden. Dies geschah auch als Boda zusammen mit Vanzetti, Sacco und einem weiteren Mann am 5. Mai 1920 das Auto aus der Werkstatt abholen wollte. Vor dem Eintreffen der Polizei flüchteten die Männer jedoch. Während Boda und seinem Begleiter die Flucht gelang, waren Sacco und Vanzetti anscheinend nicht schnell genug und wurden nur wenig entfernt verhaftet. Bei der Verhaftung waren Beide bewaffnet, Sacco trug einen 32er Colt und Vanzetti einen Revolver bei sich.
Für Stewart und den Distriktstaatsanwalt Katzmann waren die beiden damit Verdächtige, die sowohl am gescheiterten Überfall von Bridgewater als auch am Raubüferall in South Braintree beteiligt gewesen waren, auch wenn sich keine stichhaltigen Beweise finden ließen und keine Verbindung zwischen den beiden Taten nachgewiesen werden konnte.
Weder stimmten Fingerabdrücke vom Tatort mit denen der Verdächtigen überein, noch konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass die Schüsse aus dem Colt von Sacco oder dem Revolver von Vanzetti abgegeben wurden.
Dennoch kam es zum Prozess, der am 14. Juli 1921 mit einem überraschenden Schuldspruch endete, obwohl Zeugen die Angeklagten entlasteten und angebliche Beweisstücke sich als unbrauchbar herausstellten.
Bereits am 18. Juli stellte die Verteidigung den ersten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, womit sie auch erfolgreich war. Dies war nur einer von mehreren Versuchen, das Urteil zu revidieren oder abzuändern. Letztendlich erstreckte sich dieser Prozess bis in das Jahr 1927.
Trotz Vanzettis Gnadengesuch, zahlreicher internationaler Proteste und Hinweise auf fehlerhafte Auswertung von Fakten und das Fehlen eindeutiger Beweise wurde das Todesurteil gegen Sacco und Vanzetti am 23. August 1927 vollstreckt.
Noch heute, Jahrzehnte nach dem Fall gibt es zahlreiche Spekulationen, die in verschiedene Richtungen weisen. Auf der einen Seite stehen die Anhänger der Theorie, Vanzetti und Sacco seien unschuldig und lediglich Opfer der damaligen Hetzkampagne gegen alle politisch Andersdenkenden. Auf der anderen Seite wird vermutet, beide seien schuldig und der Prozess sei fair verlaufen.
Des weiteren gibt es auch die Annahme, dass Sacco schuldig sei, während Vanzetti nur eine Teilschuld treffe, da er nicht an der Ausführung, sondern lediglich an der Planung der Tat beteiligt gewesen sei.
Wie dem auch sei. Sicherheit wird es nach so vielen Jahren vermutlich nicht mehr geben und der Fall Sacco und Vanzetti wird weiterhin die Gemüter erhitzen sowie für jede Menge Theorien und Spekulationen sorgen.

Ein anonymer Arbeiter: St. Petersburger Blutsonntag (22. Januar 1905)

Dienstag, den 22. Januar 2008

Hier wehen sie, unsere Fahnen, wir sind eine schier unüberschaubare Zahl. 150.000 sagen die einen, 200.000 die anderen. Aber wer hat uns schon gezählt. Auf die Zahl aber kommt es auch nicht an. Worauf es ankommt, ist das, wofür wir stehen. Für ein neues Russland, ein anderes Russland. Endlich, endlich ist es soweit. Schaut nur, meine Genossen, schaut zur rechten und zur linken. Von allen Seiten, aus allen Straßen und Gassen, kommen sie, schließen sich uns an. Demonstrationszug am St. Petersburger BlutsonntagSie alle haben genug davon, ausgebeutet zu werden. Tag für Tag schinden wir uns an den Maschinen, in den Kohlegruben, auf den Feldern für die Industriellen, für die Grundbesitzer. Aber wofür? Damit wir am Ende doch wieder nur einen unseligen Krieg finanzieren? Einen verlieren wir doch gerade erst. Mit Erfolgen wollten sie von unseren Problemen ablenken, mit Erfolgen gegen das kaiserliche Japan. Aber was ist geschehen? Verloren haben wir diesen Krieg und das Volk, wir einfach Arbeiter, wir darben mehr als zuvor. Aber dem muss nun ein Ende gesetzt werden. Wir verlangen nicht viel. Aber wir müssen leben können, unter menschenwürdigen Bedingungen. Wir müssen frei unsere Meinung äußern können, ohne Angst vor Verfolgung durch die staatlichen Behörden, durch die Ochrana. Das Volk muss eine Stimme bekommen. Ohne uns gäbe es keine Industrie, keine Arbeit würde getan. Kein Kapital erwirtschaftet. Er hat schon Recht, auch wenn er ein Pope ist, aber er weiß, was die Arbeiter bewegt, dieser Georgi Gapon. Den Zaren wollen wir nicht absetzen. Seht Ihr, Genossen, da vorne führen sie sogar ein Bild des Zaren mit sich. „Gebt dem Kaiser was des Kaisers“, so sagt es immer Georgi. Aber wir sagen auch: „Gebt dem Arbeiter, was dem Arbeiter“. Gleich haben wir schon das Narwa-Tor erreicht, gleich sind wir da. Aber da stehen Soldaten! Warum? Wir wollen keinen Kampf, keinen Konflikt, keinen Hader. Nur unsere Bittschrift wollen wir überreichen.
Einige Stunden später:
Was ist geschehen? So friedlich war unser Zug! Und dann das. Plötzlich… Schüsse, Schreie, Blut. Zu meiner Rechten geht mein Kollege zu Boden. Getroffen von einer Kugel. Der halbe Schädel fehlt. Auch vor mir fällt einer. Überall Panik. Schreie, Menschen rennen, sie fliehen. Warum? Warum wird auf uns geschossen? Wer gab den Soldaten den Befehl uns zu töten? Nur wenige Schritte vor mir fiel diese junge Frau zu Boden. Kurz zuvor habe ich sie noch ein Bild des Zaren Nikolaus in die Höhe recken sehen. Nun liegt das Bild am Boden, gleich neben ihr. Menschen trampeln in ihrer wilden, heillosen Flucht über ihren toten Körper. Auch das Bild liegt zertreten im Schlamm. Rot gefärbt hat sich dieser Schlamm rings um uns, der noch vor wenigen Stunden weißer Schnee war, so unschuldig. Nun zeigt er den Tod. Wieder Schüsse. Ich muss auch hier weg, muss auch fliehen. Meine Kinder, meine Frau, sie brauchen mich. Kann nicht hier bleiben. Ich darf nicht sterben. Aber wir werden nie aufgeben. Nicht, bis wir unter menschenwürdigen Bedingungen leben dürfen. Nicht bevor wir eine Stimme bekommen. Diese Bilder. Ich werde sie nie aus meinem Kopf bekommen. Der Tod so vieler unschuldiger Menschen. Ja, wir kommen wieder. Aber das nächste Mal wird es anders sein. Im Frieden scheint es nicht zu gehen. Dann muss es der Kampf sein. Kampf bis wir Gerechtigkeit erlangen – oder den Tod.

Am 22. Januar 1905 zogen ca. 140.000 Menschen (andere Quellen sprechen teils von deutlich niedrigeren, teils von deutlich höheren Zahlen) in friedlicher Absicht in Richtung des Winterpalastes in St. Petersburg, um dem russischen Zaren Nikolaus II. eine Bittschrift zu überreichen. Ihr Ziel war es, bessere Arbeitsbedingungen für die Arbeiter zu erreichen. Eine Agrarreform sollte die Landbevölkerung entlasten und die Erträge gerechter zwischen den Großgrundbesitzern und den Landarbeiten verteilen. Eine konstitutionelle Monarchie nach britischem Vorbild sollte dem Volk zu einer Stimme in der Politik verhelfen. Zur Überreichung der Bittschrift an Nikolaus kam es aber gar nicht erst. Als der Demonstrationszug das Narwa-Tor erreichte eröffneten die dort befindlichen Soldaten ohne Vorwarnung das Feuer auf die Menge. Die Opferzahlen variieren stark, von wenig mehr als 100 bis zu über 1000. Eine abschließende Klärung ist wohl nicht mehr möglich. In der Folge des Petersburger Blutsonntags kam es zu Ausschreitungen und quasi-revolutionären Zuständen. Auch außenpolitisch stand Russland unter Druck. Der Krieg gegen Japan, der eigentlich begonnen worden war, weil man sich von schnellen Erfolgen eine Ablenkung von den Problemen im Inneren des russischen Zarenreiches erhoffte, wurde zum Desaster. Mit dem Oktobermanifest, in dem ein Zweikammernparlament eingeführt wurde, die Duma, und in dem sich weitere Zugeständnisse hinsichtlich der Forderungen der Aufständischen fanden, verschaffte sich die Monarchie eine Ruhepause. Die Bestimmungen des Oktobermanifestes blieben aber im Alltag ohne Folgen. Der Zar herrschte weiterhin nahezu unangefochten. Zar Nikolaus II
Ein Jahr nach dem Petersburger Blutsonntag, 1906, stellte sich sogar noch heraus, dass der Anführer der Demonstranten, der orthodoxe Priester Georgi Gapon, in Wirklichkeit ein Agent Provocateur des russischen Geheimdienstes, der Ochrana war. Also ein Staatsdiener, dessen Aufgabe es war, Handlungen zu provozieren, die in Unruhen und Ausschreitungen mündeten und dadurch wiederum der Ochrana Argumente zur Stärkung ihrer Position brachten. Er wurde am 11. April 1906 ermordet. Der Auftrag dazu kam von der sozialistisch-revolutionären Partei, die in ihm einen Verräter an der sozialistischen Revolutionsidee sah. Als ein Treppenwitz der Geschichte erscheint, dass sich später auch der, von der sozialistisch-revolutionären Partei mit der Planung des Mordes betraute, Jewno Asef, sogar einer der Gründer der Partei, seinerseits als Agent Provocateur entpuppte.